Ich weiß jetzt, was Jin seit ihrer Rückkehr bedrückt. Gestern gegen Abend stand sie vor meiner Tür. Wir waren eigentlich zum Proben verabredet. Doch ich konnte sofort sehen, dass daraus nichts werden würde. Ihr Blick war ganz weich und durchlässig und etwas flackerte warm und pulsierend dahinter.
Wir sind erst mal raus in den Garten, dann durch das Loch im Zaun, zwischen den Rapsfeldern hindurch zum Waldrand. Wegen des vielen Regens der letzten Wochen lagen die Wiesen saftig grün in der Abenddämmerung. Die Eindrücke ihrer Reise machen offenbar nicht nur Jin zu schaffen, sondern in erster Linie auch Masha. Seit ihrer Rückkehr ist sie schweigsam und abweisend. Sie hat angefangen schon Mittags zu trinken, vernachlässigt ihr Kind. Die Bilder der Zerstörung wären vielleicht zu ertragen gewesen. Doch die Entscheidung von Denys, trotz allem dort zu bleiben, kann sie nicht verkraften. Was ist ein Mann wert, der lieber mit dem Maschinengewehr im Bombenhagel steht als an der Seite seiner Familie ein neues Leben aufzubauen? Noch im Auto auf der Rückfahrt hat Masha wohl per SMS Schluss gemacht.
Und Jin gibt sich nun natürlich die Schuld an allem. Sie habe ja Masha dazu gedrängt, Denys nach Deutschland zu holen. Doch anstatt die Familie wieder zusammenzuführen, habe sie nun mitgeholfen, sie zu zerstören. Die ganze Aktion sei einfach ein riesiger Fehler gewesen. Wie habe sie nur so naiv sein können?
Was hätte ich dazu sagen sollen? Ja, vielleicht war es naiv, einfach so in ein Kriegsgebiet zu fahren, in der vagen Hoffnung einen Mann herauszuholen, der eigentlich dort bleiben will. Vielleicht war es auch ein Fehler, die Reise nicht besser zu planen und vor allem nicht vorher mit Denys abzusprechen. Aber auf der anderen Seite ist der unbändige gute Wille, der hinter der ganzen Aktion steht, so wunderschön, dass es mir die Tränen in die Augen treibt. Kann jemand, der so offensichtlich in der besten Absicht handelt, Schuld auf sich geladen haben? Das kommt mir nicht richtig vor.
Ich hätte Jin gern in den Arm genommen, doch ich weiß, dass sie es nicht mag, berührt zu werden, wenn sie traurig oder wütend ist. Also habe ich mit Worten versucht, sie zu trösten. Gesagt, dass niemand wissen kann wie die Geschichte weitergegangen wäre, wenn Sie nicht gefahren wären. Dass die Beziehung wohl ohnehin bereits brüchig gewesen sein muss. Dass es für Mascha bestimmt besser ist, sich von Denys zu lösen, um hier mit ganzem Herzen neu anzufangen.
Als wir zurück nach Hause kamen, war die Sonne bereits untergegangen. Die anderen hatten im Garten ein Feuer gemacht und buken Stockbrot. Keiner sagte etwas über die Probe, die wir verpasst hatten. Wir setzten uns ans Feuer, aßen Brot und Kirschen und ignorierten den leisen Donner, der von fern das nächste Gewitter ankündigte.