Spatz oder Gockel?
Ich entdeckte sie in einem kleinen Café. Eigentlich war es eher eine Bäckerei mit ein paar Tischen und Stühlen drin. Ihren Cappucino hatte sie längst leer getrunken, doch sie machte keine Anstalten zu gehen. Vor ihr lag ein Ipad, auf dem sie mit einem weißen Plastikstift herumkritzelte. Ihre Haare hingen locker geflochten neben ihrer Schulter herab und jeder Fingernagel war in einer anderen Farbe lackiert. Was mich jedoch endgültig in ihren Bann schlug, war ein kleiner Spatz, der durch die offene Tür hereingeflattert war und auf dem Boden nach Krümeln suchte. Die Art und Weise, wie sie ihn anlächelte... plötzlich wünschte ich mir nichts mehr, als auch so ein Spatz zu sein.
Wir hätten uns wohl dennoch nie kennen gelernt, wenn sie nicht ein wenig später herüber zu meinem Tisch gekommen wäre. Ich zeigte ihr, was ich geschrieben hatte und sie zeigte mir, was sie gezeichnet hatte. Vermutlich konnte sie hören, wie mein Herz klopfte, doch sie ließ sich nichts anmerken. Am nächsten Tag kam ich wieder in die Bäckerei und am übernächsten auch. Und irgendwann war auch sie wieder da. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Wir tauschten viele Worte aus - über Nichtigkeiten, wilde Geheimnisse und das ratternde Getriebe der Welt.
Aber eines Tages sagte sie diesen Satz. 'Weißt du was?', sagte sie. 'Man könnte sich echt in dich verlieben, wenn du nicht so furchtbar nett wärst.' Vermutlich war es als Kompliment gemeint. Doch ich fühlte in diesem Augenblick etwas in mir zerbersten. Ich sagte nichts dazu. Aber am nächsten Tag kam ich nicht mehr in die Bäckerei. Und am übernächsten auch nicht.
Zu nett? Ganz ehrlich, was soll das eigentlich heißen? Ich habe es oft gehört, aber nie verstanden. Warum sollte man sich wünschen, dass jemand weniger nett ist? Das macht keinen Sinn.
Aber es gibt noch etwas anderes, was mich an diesem Satz stört. Er ist Symptom eines tiefer liegenden Problems. Wir sind uns doch eigentlich alle (na gut, fast alle) einig, dass wir die alte, toxische Männlichkeit nicht mehr wollen. Nur: Dann müssen wir auch irgendeine andere, neue Form der Männlichkeit zulassen, die an ihre Stelle treten kann. Aber wenn man als Mann versucht, ohne all das Gegockel und Dominanzgehabe auszukommen, Stärke nicht als Agressivität sondern als Aufrichtigkeit und innere Ruhe zu interpretieren und ganz allgemein einfach kein Arschloch zu sein, dann kriegt man zu hören, man sei zu nett. Das ist nicht nur frustrierend, sondern auch gesamtgesellschaftlich fatal. Wenn die ganzen Gockel für ihr Verhalten noch belohnt werden, wird es sie für immer geben...
Habt ihr unseren Song zum Thema gehört? t͡suː nɛt ist seit Freitag überall, wo es Musik gibt. Hört ihn rauf und runter, packt ihn in eure Playlisten, zeigt ihn euren Freunden und euren Feinden auch.