Strudel
Ich hatte ja bereits erwähnt, dass Leo seit unserem Ausflug in Pandoras Reich merkwürdig still ist. Wie ihr wisst hat sie häufig Phasen, in denen sie kalt und abweisend ist. Um es vorsichtig auszudrücken. Ich habe aufgehört, mir deswegen Gedanken zu machen. Aber diesmal ist es anders. Keine giftigen Worte, keine Lust am Verletzen. Sie wirkt kraftlos und niedergeschlagen und irgendwie nachdenklich. Als ob sich der zerstörerische Trieb diesmal nach innen wendet.
Es war nicht leicht, an sie heranzukommen. Ich bot all mein Geschick auf, um Situationen zu schaffen, in denen wir hätten reden können, aber sie vermied sie mit ebenso viel Beharrlichkeit. Gestern bekam ich mit, wie sie sich heimlich aus dem Haus schlich. Zwei Straßen weiter holte ich sie ein und dann war es plötzlich erstaunlich einfach, sie zum Reden zu kriegen. Wir bogen Richtung Wald ab. Keine Ahnung wohin sie unterwegs gewesen war, aber es schien nicht mehr wichtig zu sein.
Ich fragte nach ihren Erlebnissen in Pandoras Reich. Sie seufzte. 'Ich hab so lange nicht mehr an all das zurückgedacht. An die Zeit im Stift. An unseren geheimen Ort. Aber als ich den Pilz gegessen hatte, war ich plötzlich wieder dort. Und alles war so klar, die Farben so stark, fast noch echter als echt. Du warst auch dort.' Sie senkte den Blick. Eine Weile schwieg sie, doch dann brach es aus ihr heraus. 'Oh mann, wie kann es nur sein, dass ich immer alles verkacke? Egal was mir das Leben hinwirft, ich entscheide mich todsicher für die Option, die mich noch tiefer in diesen verfickten Strudel aus Scheiße hineinzieht, aus dem ich seit Jahren rauszuschwimmen versuche. Was ist nur mit mir los? Wie kann man denn soooo kaputt sein?'
Ich fand das eine bemerkenswert akkurate Selbsteinschätzung, aber das sagte ich natürlich nicht. Versuchte stattdessen den Fokus auf das Positive zu legen. Nicht alle ihre Entscheidungen seien schlecht. Sich von Keff zu trennen sei zum Beispiel eine richtig gute Idee gewesen. Aber ich wusste selbst, dass das ein eher erbärmlicher Versuch war. Die Wahrheit ist: Ich konnte den Schmerz und die Vergeblichkeit, die in ihrem inneren rumorten, gut nachfühlen. Nichts daran war falsch und ich wusste es.
Ich weiß nicht ob ihr all das verstehen könnt. Wahrscheinlich wäre an dieser Stelle wohl ein Exkurs über vergangene Zeiten angebracht. Über Leo und mich, unter welchen Umständen wir uns kennengelernt haben. Und wie wir das geworden sind, was wir heute sind. Aber es ist eine lange und nicht immer erfreuliche Geschichte. Würde hier den Rahmen sprengen. Und interessiert euch das überhaupt? Ich will euch ja auch nicht mit meiner Vergangenheitsbewältigung langweilen.