Syndikat
Nachdem Till und ich von unserer kuriosen Rückfahrt aus München erzählt hatten, war Leo erst einmal ein paar Tage verschwunden. Als hätte sie geahnt, dass ich mir vorgenommen hatte, sie danach zu fragen, ob sie mehr darüber wusste. Am Montag kam sie zurück, vermied aber geschickt jede Situation, in der wir in Ruhe hätten sprechen können. Doch gestern kam dann alles ganz ohne mein Zutun ins Rollen.
Abends am Feuer erzählte Till, dass ihm schon wieder etwas merkwürdiges widerfahren war. Zwei pickelige Halbstarke seien ihm hinterhergelaufen und hätten ihn mit Schneebällen beworfen. So aggressiv und hartnäckig seien sie gewesen, dass ihm am Ende nur die Flucht blieb. Leo saß mit ihren Kopfhörern in der Ecke und tat so als ob sie gar nicht zuhörte. Doch dann sagte sie plötzlich ganz beiläufig: 'Vielleicht solltest du mal das Ding in deinem Gesicht loswerden.'
Sofort richteten sich alle Blicke auf sie. 'Was meinst du?', fragte Till.
Man konnte Leo ansehen, dass sie nach einem Ausweg suchte. Doch es war zu spät. Alle blickten sie erwartungsvoll an. 'Die Narbe', murmelte sie schließlich. 'Auf deiner Wange.'
Till starrte sie an. 'Was ist damit?' Etwas flehendes lag nun in seinem Blick. 'Leo, wenn du irgendwas darüber weißt, dann sag es."
Sie senkte den Blick. Ich glaubte schon, sie würde die Situation einfach wegschweigen. Doch dann sah sie uns an und Ärger blitzte in ihren Augen. 'Es ist ein Zeichen', sagte sie mit lauter, schriller Stimme. 'Ist das so schwer zu verstehen? Feinde des Syndikats werden damit markiert. Wer das Huhn trägt, ist vogelfrei. Man darf mit ihm machen, was man will.'
Recht viel mehr war nicht aus ihr herauszukriegen. Auch nicht über dieses mysteriöse Syndikat. Keine Ahnung, ob sie wirklich nichts weiß, oder es einfach nicht sagen will. Sie habe sich das alles ja nicht ausgedacht. Till hätte eben einfach vorsichtiger sein müssen. Ihre Stimme war schroff, als ob sie all das nichts anginge. Aber ich konnte spüren, wie sehr sie sich selbst dafür verdammte. Tills Gesicht dagegen war bei jedem ihrer Worte fahler geworden.