Über den Wert von Musik
Der Sommer ist da. Die Sonne drückt mit Gewalt auf die ächzenden Dachbalken, Staub rieselt aus den Ameisenlöchern und die Luft liegt wie Sirup auf der Erde. Richtig erträglich ist es eigentlich nur im Keller und das ist unserer Kreativität sehr zuträglich. Spätestens gegen Mittag sind wir im Proberaum und was sollten wir dort schon tun außer Musik machen. Wir schichten Klänge übereinander, formen, feilen und verzieren bis wir plötzlich selbst ganz ergriffen da sitzen. Es ist nicht leicht, an diesen Punkt zu kommen, aber manchmal gelingt es und dann suhlen wir uns in der trügerischen Gewissheit, etwas von Wert erschaffen zu haben.
Aber wir debattieren auch viel in diesen Tagen, vor allem Abends, wenn die Luft vom Gewitter abgekühlt ist und Ava von ihrem Praktikum nach Hause kommt. Nachdem sich der Traum bei einer Plattenfirma unterzukommen vorerst zerschlagen hat, werden wir wohl unsere Musik weiter selbst veröffentlichen. Und dabei stellt sich natürlich die Frage, wie es heutzutage überhaupt noch möglich ist, mit Musik wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen.
Irgendwie ist es absurd. Unser bisher erfolgreichster Song ist fæːlɐ und der wurde auf Spotify schon über 10 000 mal angehört. Für mich fühlt sich das eigentlich nach ziemlich viel an. Es ist ein schöner Gedanke, dass Zehntausend mal jemand sich über etwas gefreut hat, was wir gemacht haben. Ava hat uns vorgerechnet, dass uns dafür von Spotify ungefähr 30 Euro ausgezahlt werden dürften. Das reicht nicht mal, um einmal Pizza Essen zu gehen. Vielleicht ist das gar nicht schlimm. Wir haben diese Band nicht gegründet um reich zu werden. Wir tun einfach das, was wir lieben. Vielleicht ist es ok, dafür nicht bezahlt zu werden.
Aber dennoch - je mehr wir uns damit beschäftigen, desto mehr verfestigt sich das Gefühl, dass irgendetwas fundamental schief läuft. Ich will versuchen, das zu erklären: Keine Ahnung, wie ihr das seht, aber für mich gibt es ganz unterschiedliche Musik, die ich aus unterschiedlichen Gründen mag und die ich ganz unterschiedlich höre. Manche ist gut geeignet um beim Kochen oder Schreiben im Hintergrund zu plätschern. Weil sie nicht stört und eine gute Atmosphäre schafft. Andere Musik sauge ich mit meiner ganzen Seele auf. Sie kann mich zum Weinen bringen, zum Grinsen oder Tanzen, kann Resignation in Hoffnung verwandeln und Niedergeschlagenheit in bittersüße Melancholie. Solche Musik kann ich nicht ständig hören, weil sie so stark auf mich wirkt. Aber ich weiß, dass sie im richtigen Moment alles verändern kann.
Gleichzeitig wird Musik auch ganz unterschiedlich hergestellt. Man kann in drei oder vier Stunden ein simples Klavierstück komponieren und aufnehmen, das in einer der zahllosen Entspannungsplaylisten hervorragend funktioniert. Aber es gibt auch Musik wie unsere, für die sich mehrere Leute über Wochen oder Monate im Proberaum einschließen, jeden Ton, jede Silbe und jeden Sound immer wieder in Frage stellen, um am Ende hoffentlich ein Gesamtkunstwerk zu erschaffen, das diesen Namen auch verdient. Die Musik, die so entsteht ist oft auf den ersten Blick gar nicht so gefällig. Man muss sie ein paar mal hören, um sie zu entschlüsseln. Aber dann kann sie diese extrem starke Wirkung haben, von der ich oben gesprochen habe.
Aber im gegenwärtigen System sind all diese unterschiedlichen Songs immer die gleichen 0,3 cent wert. Sogar 2 Minuten Regengeräusche werden exakt gleich vergütet. Ist das wirklich fair? (Es gibt dazu gerade eine tolle Doku in der ARD Mediathek. Dirty Little Secrets heißt die. Wenn ihr Zeit habt, schaut sie euch unbedingt an.) Und schafft das nicht Anreize, immer mehr Fließbandmusik zu produzieren? Wenn Jin einfach ihre Klavierimprovisationen mitschneiden würde, könnte sie locker ein Album pro Tag veröffentlichen. Und damit vermutlich viel mehr Geld verdienen als wir mit unseren Schweiß-und-Tränen-Songs.
Es geht mir nicht darum, zu jammern. Und ich habe auch keine Lösung für das Problem. Es ist alles kompliziert. Aber so wie es ist, kann es nicht bleiben. Von all dem vielen Geld, das die Streaming Dienste erlösen, geht fast alles an ein paar große Konzerne, eine Hand voll Popstars und eine Armada aus Ghostwritern und Retortenmusik-Produzenten. Für all die Herzblutmusiker da draußen bleiben nur ein paar Krümel. Und wenn in Kürze auch noch künstliche Intelligenzen ernsthaft in diesem Spiel mitmischen, wird sich diese Schieflage nochmal drastisch verschärfen. Denn dann kann man ein Album mit chilliger Klaviermusik oder Lofi-Beats nicht mehr in einer Woche oder einem Tag machen, sondern in einer Minute. Was wird Musik dann noch wert sein?
Hat jemand von euch eine Idee wie man dieses Dilemma löst? Wir sind einigermaßen ratlos.