Unbehagen
Unser Ukraine-Song ist fertig. Hans hat noch ein paar Kleinigkeiten hinzugefügt - eine Hand voll Basstöne und apokalyptisches Gewummer in der Bridge. Ansonsten ist da nur Jins Klavier und meine Stimme. Till hat eine Weile rumprobiert, um eine passende Gitarrenlinie zu finden. War aber am Ende der Meinung, dass der Song ohne Gitarre einfach besser sei. Das ist etwas, was ich sehr an Till schätze. Er kann sich zurücknehmen und im Zweifelsfall sogar mal gar nichts machen, wenn es dem Song gut tut.
Wir haben das Ergebnis gleich Ava gezeigt - und das hätten wir vielleicht besser nicht getan. Sie war ziemlich angetan davon. Und meint, man müsste ihn am besten jetzt gleich veröffentlichen. Gerade sei das Ukraine Thema noch omnipräsent. In ein paar Monaten würde sich niemand mehr dafür interessieren. Außerdem passe der Song mit seiner Bildersprache am besten in den Sommer. Der Rest der Band ist nicht abgeneigt. Jin ist noch immer frisch verliebt in den Song und würde ihn am liebsten jetzt gleich allen zeigen. Till kann Avas Argumente nachvollziehen. Selbst Hans, der ansonsten immer zögert, wenn es um´s Veröffentlichen geht, äußert nur zaghafte Bedenken.
Jetzt hängt es also an mir. Und alles in mir sträubt sich dagegen. Ist das Thema nicht viel zu schwer und unverdaulich? Ist eine Klavierballade wirklich ein guter erster Song für eine Band? Das sind die halbgaren Argumente, die ich vorschiebe. Doch dahinter liegt ein tieferes Unbehagen, das ich selbst nicht recht zu fassen kriege. Ich mag den Song wirklich gern. Und doch ist da eine diffuse Unzufriedenheit. Ich glaube es liegt an mir, an meiner eigenen Performance. Irgendetwas ist daran nicht richtig, aber ich kann nicht wirklich sagen, was es ist.
Das macht mir ziemlich zu schaffen. Ich fühle den Druck von Ava und von den anderen, die jetzt gerne los legen würden. Aber es fühlt sich an, als würde ich mich selbst verraten und betrügen, wenn ich dem nachgebe. Ich weiß nicht, was ich tun soll.